Als Geschäftsführer eines Verbands, der sich seit Jahrzehnten mit Getränkekartons beschäftigt, höre ich oft: Der Getränkekarton sei etwas von gestern. Meine klare Antwort darauf lautet: Ganz im Gegenteil. Der Getränkekarton hat sich seit seiner Einführung 1951 kontinuierlich weiterentwickelt und ist heute ein technisch ausgereiftes, ressourcenschonendes Verpackungsmittel, das viele Vorteile für Hersteller, Handel und Verbraucher bietet. In diesem Beitrag erläutere ich die wichtigsten Argumente, den Stand der Recyclingtechnik, aktuelle Entwicklungen bei Materialien, die regulatorischen Herausforderungen durch die neue EU-Verpackungsverordnung PPWR und warum die Branche die aktuelle Umsetzung bestimmter Vorgaben kritisch sieht.
Warum der Getränkekarton gut für die Zukunft aufgestellt ist
Der Getränkekarton ist leicht, schützt das Produkt zuverlässig und ist ressourceneffizient. Konkret: Für 1 Kilogramm verpackten Produkts verwendet ein Kartonpack nur etwa 30 Gramm Verpackungsmaterial. Das ist ein wichtiger Beitrag, weil geringeres Verpackungsgewicht Transport- und CO2-Belastungen reduziert.
Darüber hinaus bietet der Karton eine wirksame Barriere gegen Licht und Sauerstoff. Das schützt empfindliche Inhaltsstoffe wie Vitamine und verlängert die Haltbarkeit. Längere Haltbarkeit heißt auch: weniger Food Waste. Gerade der Kampf gegen Lebensmittelverschwendung ist auf nationaler und europäischer Ebene ein zentrales Ziel, bei dem Packmittel mit gutem Produktschutz einen Beitrag leisten können.
Ein weiteres wichtiges Argument ist die Rohstoffbasis: Mehr als drei Viertel eines Getränkekartons besteht aus Kartonfaser, die aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern stammt. Das macht die Verpackung ökologisch attraktiv. Gleichzeitig ist der Karton hochgradig recyclingfähig: Aktuell erreichen wir eine Recyclingfähigkeit von rund 90 Prozent.
Kernbotschaften der Kampagne Think Inside the Box
Unter dem Motto Think Inside the Box wollen wir die Vorteile des Getränkekartons neu ins Bewusstsein rufen und falsche Mythen ausräumen. Die Botschaften der Kampagne lassen sich so zusammenfassen:
- Der Karton ist leicht und damit ressourcenschonend.
- Er schützt Lebensmittel optimal vor Licht und Sauerstoff.
- Er trägt zur Reduktion von Lebensmittelverschwendung bei.
- Getränkekartons sind recyclingfähig und basieren überwiegend auf nachwachsenden Rohstoffen.
- Mythen und pauschale Vorverurteilungen müssen durch Fakten ersetzt werden.
Recyclingfähigkeit und Kreislaufwirtschaft: Was funktioniert bereits
Entgegen vieler Vorurteile bestehen Getränkekartons nicht aus untrennbaren, miteinander verklebten Schichten, die eine Verwertung unmöglich machen. Die Branche hat in Deutschland bereits seit Jahren Strukturen aufgebaut, um die Kunststoff- und Aluminiumanteile technisch zu rezyklieren. Unser Verband ist sogar alleiniger Gesellschafter einer Aufbereitungsanlage, die solche Komponenten verwertet.
Zur Größenordnung: In der EU werden jährlich rund 84 Millionen Tonnen Verpackungsabfälle erzeugt. Der Anteil der Getränkekartons daran beträgt etwa 500.000 Tonnen, also rund 0,58 Prozent. In Deutschland fallen durch Getränkekartons insgesamt etwa 36.000 Tonnen Kunststoff und Aluminium an, die technisch aufbereitet werden müssen. Aktuelle Recyclingkapazitäten wurden in den letzten Jahren deutlich ausgebaut: In einem Chemiepark sind zum Beispiel rund 18.000 Tonnen Kapazität aufgebaut worden, und weitere Anlagen teilen sich diese Aufgabe.
„Recyclingfähigkeit mit der PPWR ist jetzt die neue Lizenz to operate.“
Dieser Satz bringt es auf den Punkt: Die neue europäische Verpackungsverordnung PPWR macht Recyclingfähigkeit zur zentralen Bedingung für das zukünftige Marktgeschehen. Für Getränkekartons ist das ein Vorteil, weil wir hier bereits gut aufgestellt sind. Zudem haben Hersteller seit Jahrzehnten Prinzipien der Produzentenverantwortung praktiziert, von der Sammlung über die Logistik bis zur Verarbeitung.
Technische Entwicklungen: Aluminiumfrei und biobasierte Kunststoffe
Die Innovation geht weiter. Es wird intensiv an Alternativen zur Aluminiumbarriere gearbeitet und an biobasierten Kunststoffen, die fossile Rohstoffe ersetzen sollen. Bereits heute gibt es Produkte auf dem Markt, die aluminiumfrei sind. Das Ziel ist klar: Ein Karton, der so CO2-arm wie möglich ist und möglichst wenig fossile Anteile enthält.
Wichtig ist jedoch: Die Regulierung muss hier nachziehen. Aktuell erlaubt die PPWR in den zurzeit diskutierten Formen die Verwendung bestimmter biobasierter Kunststoffe in Lebensmittelkontaktverpackungen noch nicht uneingeschränkt. Das muss politisch geklärt werden, damit Innovationen nicht gebremst werden und nachhaltigeren Materialoptionen der Weg in die Praxis geebnet wird.
Regulatorische Herausforderungen: PPWR, Delegated Acts und Mindestanteile
Die PPWR stellt eine grundlegende Neuordnung des Verpackungsrechts in Europa dar. Doch nach der Verabschiedung folgt die schwierige Phase der Umsetzung: Mehr als 40 delegierte Rechtsakte werden notwendig sein, bevor wir genau wissen, wie der Verpackungsmarkt in der Zukunft aussehen wird. In vielen dieser Details entscheidet sich, wie praktikabel und marktfähig die Vorgaben wirklich sind.
Ein besonders sensibles Thema ist der Mindestanteil an Recyclingmaterial in Lebensmittelverpackungen. Künftig sollen bis 2030 zehn Prozent Recyclinganteil vorgeschrieben werden, mit möglichen Anhebungen in späteren Jahren. Das Ziel ist sinnvoll, doch aktuell existiert noch nicht ausreichend sichere Mengen an qualifizierten Rezyklaten für Lebensmittelanwendungen. Hier braucht es dringend politische Rahmenbedingungen, Investitionen und Marktanreize, damit die Recyclingindustrie die notwendige Kapazität aufbauen kann.
Das Problem der Sekundärrohstoffmärkte
Ein zentrales praktisches Problem ist momentan die Schwäche des Sekundärrohstoffmarktes. Viele Recyclingunternehmen stehen unter wirtschaftlichem Druck, teils wurden Anlagen geschlossen. Rezyklate sind aktuell nicht immer konkurrenzfähig gegenüber Primärrohstoffen. Ursachen sind unter anderem schwache Nachfrage, billige Importe und die Zurückhaltung vieler Hersteller, solange die verbindlichen Vorgaben erst in ein paar Jahren gelten.
Die Folge: Ein Teufelskreis. Ohne starke Nachfrage keine Investitionen, ohne Investitionen keine ausreichenden Mengen hochwertiger Rezyklate und ohne Rezyklate keine Möglichkeit, die gesetzlichen Mindestanteile zu erfüllen. Deshalb ist es essenziell, kurz- bis mittelfristige Maßnahmen zu ergreifen. Auf EU-Ebene ist geplant, im vierten Quartal 2026 ein Gesetz zum Sekundärrohstoffmarkt vorzulegen. Es ist wichtig, dass Politik das Tempo erhöht und Übergangsregelungen schafft, damit Unternehmen und Recyclingbetriebe nicht verloren gehen.
Einordnung des Einwegkunststofffonds und seine Kritik
Die Umsetzung der EU-Einwegkunststoffrichtlinie in nationales Recht enthält Elemente, die die Hersteller belasten sollen, etwa über einen Fonds, mit dem Mehrausgaben für die Beseitigung gedankenlos weggeworfener Verpackungen finanziert werden. Die grundsätzliche Absicht, Meeresmüll zu bekämpfen, unterstütze ich voll. Entscheidend ist jedoch die sachgerechte Umsetzung.
In der Praxis zeigen sich Ungereimtheiten. Studien und Erhebungen weisen darauf hin, dass Getränkekartons an Stränden und im öffentlichen Raum kaum eine Rolle spielen. Für Deutschland wird der Anteil der Getränkekartons an der Vermüllung mit etwa einem Prozent angegeben. Dennoch ist der Branchenanteil an den Fondszahlungen in Deutschland mit rund 30 Millionen Euro pro Jahr angesetzt worden. Das Verhältnis von Belastung zu tatsächlichem Umweltschaden scheint so nicht fair und nicht effektiv zu sein.
Ein gutes Beispiel für mögliches alternatives Vorgehen ist die Niederlande, die auf eine Belastung für Getränkekartons verzichtet hat. Die deutsche Umsetzung sollte nachgebessert werden, damit Abgaben realitätsgerecht gestaltet werden und die Konsumentenverantwortung nicht einfach auf die Hersteller abgewälzt wird.
Europa als Bühne: Food Beverage Carton Alliance und die politische Arbeit
Die europäische Dimension gewinnt enorm an Bedeutung. In Brüssel sind wir vernetzt, unter anderem über die Food Beverage Carton Alliance, die technische Expertise, Kommunikation und Interessenvertretung bündelt. Dort wird an den Delegierten Rechtsakten und an einer sachlichen Ausgestaltung der Regeln gearbeitet. Es ist wichtig, dass wir an den Verhandlungstischen sitzen und mitgestalten, damit die Vorgaben technisch machbar und wirtschaftlich tragbar sind.
Alltagstauglichkeit, Design und Verbraucherwünsche
Verpackungen müssen nicht nur ökologisch, sondern auch praktisch im Alltag sein. Verbraucher erwarten, dass Verpackungen handhabbar, wieder verschließbar und ansprechend gestaltet sind. Innovationsschritte wie Tether Caps, also anhaftende Verschlüsse, erfüllen gleich mehrere Ziele: Sie erhöhen die Nutzerfreundlichkeit, verhindern das Verlieren von Verschlüssen und erleichtern das Recycling, weil wichtige Komponenten nicht verloren gehen.
Unsere LinkedIn-Umfrage hat gezeigt, dass Konsumenten mehrere Erwartungen gleichzeitig haben: Nachhaltigkeit, Produktschutz, Alltagstauglichkeit und Design. Mein persönlicher Eindruck als Vielkäufer mit Kindern ist ebenfalls: Alle diese Aspekte spielen zusammen. Verpackung ist ein Ganzes, bei dem Funktion und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen müssen.
Wünsche und Ausblick
Mein Wunsch für die nächsten Jahre ist klar: Die Herstellerschaft des Getränkekartons will die Zeit bis 2030 aktiv nutzen, um die notwendigen Kapazitäten, Prozesse und politischen Rahmenbedingungen zu schaffen. Wir sollten die Phase von 2025 bis 2030 dafür verwenden, die Transformation der Verpackungslandschaft konstruktiv zu gestalten und nicht einfach auf Verordnungen zu reagieren.
Ich bin optimistisch: Ein Verbot des Getränkekartons ist nicht zu erwarten, und die historischen Stärken der Branche, gepaart mit technischer Innovationskraft, geben Anlass zu Zuversicht. Entscheidend wird sein, dass Politik, Recyclingwirtschaft und Hersteller gemeinsam investieren, damit der Sekundärrohstoffmarkt funktioniert und nachhaltige Materialalternativen auch tatsächlich Eingang in die Lebensmittelverpackung finden.
Fazit
Der Getränkekarton ist kein Produkt von gestern. Er ist leicht, schützt Lebensmittel und ist weitgehend recyclingfähig. Technische Weiterentwicklungen wie aluminiumfreie Kartons und biobasierte Barrieren sind auf dem Vormarsch. Die größte Herausforderung liegt derzeit weniger in der Technik als in den politischen und marktseitigen Rahmenbedingungen: die Ausgestaltung der PPWR, die Schaffung stabiler Sekundärrohstoffmärkte und eine realistische Umsetzung von Maßnahmen gegen Vermüllung.
Wenn wir diese Baustellen aktiv angehen, kann der Getränkekarton weiterhin eine relevante und nachhaltige Verpackungslösung bleiben. Mein Appell an Politik und Industrie lautet: Gemeinsam die Übergangsphase nutzen, um Infrastruktur aufzubauen, Anreize zu setzen und Innovationen in den Markt zu bringen. Dann steht einer erfolgreichen Zukunft des Getränkekartons nichts im Weg.
Weiterführende Informationen und Kontakt
Wenn Sie tiefer in die Themen PPWR, Recyclingkapazitäten oder neue Barrierematerialien eintauchen möchten, bieten wir gerne weiterführende Informationen an. Unser Verband stellt technische Hintergrundpapiere, Studien und Praxisbeispiele zur Verfügung, die die im Beitrag angesprochenen Punkte vertiefen.
Interessierte Unternehmen, Politikvertreter und Journalisten können sich an unsere Geschäftsstelle wenden, um Unterlagen anzufordern oder an Fachgesprächen teilzunehmen. Gemeinsam lassen sich konkrete Schritte planen, um die Transformation hin zu kreislauffähigen Getränkekartons zu beschleunigen.
- Technische Hintergründe zu Recycling und Aufbereitung
- Informationen zur Umsetzung von PPWR-relevanten Vorgaben
- Best-Practice-Beispiele aus der Branche
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